Bitte lächeln

(c) Klaus Marion 1993

erschienen in VorSicht


"Ein Photoapparat zaubert bleibende Erinnerungen!"

Diese unsterblichen Worte Goethes (Möglicherweise stammen sie auch von meinem Freund Rudi) trieben mich dazu an, einen dieser Geräte käuflich zu erwerben. Ich besorgte mir ein technisches Wunderwerk, von dem die Werbung behauptet, daß ein einfaches 'Klick' ohne tiefere Fachkenntnisse genügt, um die schösten Momente des Lebens (Geburtstage, Hochzeiten, Steuerrückzahlungen) bleibend auf Photokarton zu bannen. Auf Anraten eines Fachmanns bezahlte ich einen nicht unerheblichen Betrag in der Höhe der Auslandsschulden von Montenegro für ein Gerät, daß nach übereinstimmender Auskunft des Verkäufers wie der Kartonverpackung eine "multifunktionale, multiprogramming-gesteuerte autofocus- und autorewinding-Kamera der Spitzenklasse" darstellen sollte.

Das Auspacken gestaltete sich interessant, da ich mit Erstaunen feststellen mußte, daß das zugehörige Anleitungsbuch im handlichen Duden-Format bei weitem den größten Teil der Verpackung ausmachte. Die Kamera selber war "multiprogrammgesteuert mit manueller Eingreifhilfe", was bedeutete, daß jeder freie Quadratzentimeter der Kunststoffoberfläche mit kleinen Knöpfen, Rädchen und Schaltern bedeckt war. Nach längerem Suchen gelang es mir, die zugehörigen Batterien an ihren Platz zu applizieren. Als Mann der Tat griff ich beherzt nach einem 36er Farbfilm, legte ihn ein, schloß den Deckel und lauschte interessiert dem summen und surren verschiedener Elektromotoren, die irgendwelche merkwürdigen Dinge mit dem Film anzustellen schienen. Ich blickte vorsichtig in den Sucher. Neben der mehr oder weniger deutlichen Darstellung der Zimmerwand blinkten an der Seite ein halbes Dutzend verschiedener Lämpchen, aufleuchtende Symbole pulsierten rhytmisch im Takt der digitalen Ziffern, die mich wohl über nebulöse Dinge wie Blende, Belichtungszeit, Datum und Kaufpreis informieren sollten.

Eingedenk der Worte des Verkäufers, der mir eine vollautomatisch arbeitendendes Abbildungsgerät versprochen hatte, suchte ich im Handbuch unter dem Stichwort "Automatik" und wurde tatsächlich im 22. Kapitel fündig. Leider schien die Kamera nicht nur eine, sondern ca 35 verschiedene Einstellungen zu kennen, die alle irgendwie die Bezeichnung "automatisch" verdienten. Ich betrachtete die Liste und übersprang die etwas weniger verständlichen wie "mittenbetonte Spektralaufnahme mit Kennlinieneffekt und Naturlichbetonung", um direkt zur "Sportstadion-Automatik mit Hochgeschwindigkeits-Repetierung und Dynamik-Verschärfung" zu gehen.

Ordnungsgemäß drückte ich die "Menü-Auswahltaste (j5)" 6 mal, um daraufhin im Sucher einen kleinen Sportsmann in Sprinterstellung wiederzufinden. Wie geheißen richtete ich die Kamera auf das gewünschte Objekt (In Ermangelung eines Hochleistungssportlers auf den Rauhhaardackel des Nachbarn) und drückte vorsichtig den Auslöser. Außer einigen psychedelischen Leuchteffekten in der Multifunktionsanzeige tat sich aber nichts, was gemeinhin als "Aufnahme" gedeutet werden könnte. Nach intensiven Studien des Handbuchs beschloß ich, den taktischen Rat des Fachmanns einzuholen.

"Sie müssen natürlich die Foccusierautomatik-Sperre auf AUTO einrasten lassen und den Blendenmodulator deaktivieren!" erläuterte er mit bestimmt am Telefon.

Ich bedankte mich, rastete und deaktivierte betont, wurde aber lediglich durch völlig neue, bisher nicht gesehene Warnlampten belohnt. Kein Bild.

Die Stimme des Verkäufers war jetzt schon etwas gereizt.

"Haben Sie denn den Schalter für die die axiale Blendenmessung betätigt? Der vorne links!"

Ich bemerkte schüchtern, daß sich dort insgesamt 8 kleine Schalter befänden.

"Na, denn zweiten von oben. Oder den vierten. Was weiß ich. Gucken Sie halt in der Anleitung nach!"

Damit war das Gespräch vorzeitig beendet.

Ich betätigte einfach alle der vorhandenen Schalter, viesierte in eine mittelgroße Sonnenblume an (der Dackel war inzwischen verschwunden) und drückte den Auslöser.

Die Kamera produzierte ein Geräusch wie eine amoklaufende Nähmaschiene, im Sucher sausten Zahlen von 1 bis 36 schemenhaft über die Anzeige, und bevor ich meinen Überraschten Zeigefinger vom Auslöser nehmen konnte, war ich bereits im Besitz einer wunderschönen, 36-bildrigen Action-Serienaufnahme einer Sonnenblume mit Rasenhintergrund.

"Das ist die Serienautomatik für Reihenbilder" klärte mich telefonisch der Geschäftsführer auf (nachdem sich der Verkäufer im Hintergrund vernehmlich geweigert hatte, mit "diesem Vollkretin" noch irgendwelche Worte zu wechseln).

Ich bedankte mich für die Auskunft, legte einen neuen Film ein und begann mit einem intensiven Studium der Anleitung.

Heute, nach 14 Monaten entbehrungsreichem Lernen, bin ich in der Lage, meine vollautomatische Kamera perfekt zu bedienen. Mit geübtem Blick betrachte ich die aufzunehmenden Motive, wäge ab zwischen "gemittelter Zentralmessung mit Seitenlichtbetonungsautomatik" und dem "Schnittbildsensitivem Autofocus-Programm mit logarithmischer Zeitbasisermittlung" und suche in der aufklappbaren, 14-seitigen Kurztabelle der optimalen Automatik-Korrekturen die passenden Sub-programme für die Focus-Steuerung sowie die automatischen Blitzführung heraus. Dann, nach genauer Kontrolle der Soll-Ist-Werte im Sucherdisplay, schieße ich blitzartig das gewünschte Bild.

Mitleid erfüllt mich bei der Beobachtung der armen Wichte mit ihren vorsintflutlichen Kameras, die doch tatsächlich noch manuell an Blende und Belichtungszeit einstellen müssen.

Mein Gott, wozu gibt es denn eine Automatik??


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Last updated 96/11/25