Polterabend

(c) Klaus Marion 1991

erschienen in VorSicht


"Komm mit, wir besuchen einen alten Kumpel von mir!"

Mit diesen Worten hatte mich Rudi gepackt und in der lauen Abendluft mit leichter Gewalt ein paar Straßen weiter geschoben.

"Ein Polterabend" erläuterte er schließlich, um mein Sträuben zu überwinden. "Fred Bergemann wird heiraten, oder hat geheiratet, oder so."

"Und Ihr seid gut befreundet?"

"Klar, Georg ist ein alter Freund von mir. Oder hieß er Helmut?" Er blickte sinnierend auf ein Einfamilienhaus im Wüstenrotstil, vor dessen Haustüre sich allerlei Müll befand.

Hartnäckiges Nachfragen meinerseits erbrachte schließlich, daß er von den Polter-Gastgebern aus der Zeitung erfahren hatte.

Rudi blieb optimistisch.

"Das ist ja das tolle an Polterabenden. Jeder ist willkommen. Hauptsache er kennt einen der Brautleute. Da kommt er ja

"Herzlichen Glückwunsch zur Hochzeit!" schmetterte er ihm entgegen und gab dem verdutzten Bierlieferanten leutselig zu verstehen, daß er das Geschenk bereits vorne auf den Tisch abgelegt hätte.

"Diesen Teil hätten wir geschafft. Schnell zum Essen!"

An einer improvisierten Theke versuchten mehrere Personen älterer Jahrgänge, dem Nachfrage-Andrang hungriger Gestalten nachzukommen.

"Man muß früh genug kommen, damit die guten Sachen noch zu bekommen sind," rief er mir im Gedränge zu.

"Es gibt Spießbraten. 5 Portionen bitte! Haben Sie auch Pommes Frites?"

Bepackt traten wir den Rückzug zu einem der Tische an.

"Polterabende sind äußerst gefährlich. Ich kannte mal einen, der hatte mit 200 Bekannten und Freunden gerechnet, hat sicherheitshalber 400 einkalkuliert und schließlich Essen für 600 gerichtet. Dann wurde der Polterabend auf einem Betriebsausflug der Vertreterversammlung der Lebensversicherer Reinhessen Süd bekannt, und es kam zu einem Run. Einige Gäste wollen den Schwiegervater gegen 10 mit einer nahegelegenen Pizzeria verzweifelt telefonieren gesehen haben. Beim verteilen der Essensreserven verschwand er unter den Füßen einer entfesselt-hungrigen Vertretermeute. Man hat nichts mehr von ihm gefunden, tja ja."

Er hielt ein herumlaufendes Mädchen an und trug er streng auf, einen Kasten Bier vorbeizubringen.

Langsam füllte sich der Garten.

Ich beobachtete interessiert, wie gehässig dreinblickende Personen große Kartons mit Kunststoffschnippseln, Konfetti und zerhäckselten Endlosdrucken möglichst gleichmäßig auf dem Rasen und der Straße verteilten.

Der vermutliche Brautvaster versuchte sich derweil mit Schnäppsen in Umtrunkgröße zu beruhigen.

Rudi zeigte auf die Straße.

"Seit es die Biotonnen gibt, werden Polterabende immer gefährlicher. Eine der beiden Tonnen reicht grundsätzlich nicht 2 Wochen, und so ist man von dem Brauch der geworfenen Porzellangefäße etwas abgekommen. Und seit dem der Sperrmüll immer wählerischer wird..."

Einzelne Gestalten, offentsichlich Nachbarn, warfen verschämt kleine Mülltüten und Plastiktragetaschen auf die angesammelten Schmutzberge. Ein ganz mutiger kam sogar mit seiner kompletten Mülltonne, um sie nach gründlicher Leerung zu seinem Haus schräg gegenüber zu schieben. Es begann verdächtig nach verfaulenden Bananen zu riechen.

Rudi kam inzwischen empört vom Tresen zurück.

"Das ist ja wohl die Höhe. Nur noch Würstchen. Ich hab' uns mal je 3 geholt."

Während wir noch ein paar belegte Brötchen orderten, blickte sich Rudi suchend um. Er stieß mich in die Rippen.

"Das muß der Bräutigam sein. Auf, wir sorgen für etwas folkloristische Erheiterung!"

Er stellte sich auf den Tisch.

"Der Bräutigam muß fliegen," brüllte er enthemmt, worauf sich diverse Gestalten aus der Menge lösten und gemeinsam das arme Opfer packten, um es rhytmisch in die Höhe zu werfen.

Jener wehrte sich zwar verzweiltet, kam aber nicht gegen die allgemeine Stimmungslage an, die jeden Wurf mit einem donnerten "HUI!" begleitete.

"Und jetzt klatschen wir vor dem Fangen zweimal kurz in die Hände," rief Rudi mit verstellter Stimme und suchte eiligst das Weite.

"Das hat nämlich noch nie geklappt" erläuterte Rude mir augenzwinkernd, während der Bräutigam hinter uns hohl dröhnend auf den Beton donnerte.

Seine Schmerzensschrei wirkten mitleidserregend.

"Die Musik gefällt mir aber ganz und gar nicht" Mit dieser autoritär in den Raum gestellten Aussage überredete Rudi inzwischen den für die Musik zuständigen, eingeschücherten kleinen Bruder der Braut zu einem abruppten Stil-Wechsel.

"Judas Priest!" jubeltete Rudi verzückt und packte sich noch 5 Portionen Kartoffelsalat in ein mitgebrachtes Schälchen.

Lautes Motorradgeräusch ließ uns vorsichtig um die Ecke blicken. Die Kreuznacher Hells Angel, angelockt durch die wechselnde Musikrichtung in diesem Garten, begannen sich für die Feier zu interessieren.

"Geil, eine Spießer-Fete. Die quälen wir mal ein bißchen!"

Während so die neuangekommenen Gäste aus ihrem Herzen keine Mördergrube machten und neue Freunde gewannen, packte Rudi noch 2 Kästen Flensburger, nickte der Dame des Hauses freundlich keuchend zu und verließ die gastliche Stätte in Richtung Heimat. Ich folgte ihm auf dem Fuße.

"Leider war dieser Polterabend eine echte Enttäuschung" bemerkte Rudi traurig.

"Es gibt einfach keine guten Feiern mehr. Und sie hatten zuwenig Würstchen!"


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Last updated 96/11/25