Miteinander

(c) Klaus Marion 1992

erschienen in VorSicht


Mein Freund Rudi hatte mich eingeladen.

"Mein neuester Kurs im Rahmen der Kreuznacher Volkshochschule. Solltest Du Dir unbedingt einmal zu Gemüte führen!"

Unter der Bedingung, daß wir endlich einmal über die Rückführung diverser bei mir geliehener Geldbeträge diskutieren würden, erklärte ich mich bereit, die Sache einmal anzusehen.

Rudi erwartete mich vor der Turnhalle der Ringschule.

"Schön daß Du kommst. Wir sind schon mitten dabei." Er führte mich nach innen. Überrascht blickt ich auf Gruppen von jeweils ca 10 Personen, die wie beim Zirkeltraining über die ganze Halle verteilt waren. Auffallend war ein großer Anteil von Fahrrädern, die offensichtlich zu den verschiedensten Demonstrationen benutzt wurden. An einigen Stationen befanden sich Fernseher nebst zugehörigen Videorekordern.

"Willkommen zum kommunalen Trainigscenter für Fahrrad-Verkehrsplanung! Du siehst, aus der ganzen Region haben wir Stadtverordnete und Bürgermeister nebst Verkehrsreferrennten eingeladen. Tolle Sache!"

Er beugte sich verschwörerisch zu mir vor.

"Und die zahlen wirklich gut, hehe"

Ich blickte auf das immer noch undurchsichtige Treiben.

"Ich verstehe: Ein Kurs, wie Fahrradfahrer am besten in die Straßenplanung integriert werden könnten..."

"Nun ja. Unserer Ansatz ist ein anderer. Da das Zusammenleben zwischen Fahrrädern, Autofahrern und Fußgänger sehr schwierigkeitsbeladen ist, müssen wir zu radikalen Maßnahmen greifen..."

"Ihr verbietet das Autofahren, neue Radwege etc?"

"Nein. Wir vergraulen die Radfahrer. Und die Fußgänger auch noch. Damit ist das Problem gelöst. Komm mit zur Station 1!"

Er zog mich am Ärmel. Ein mit Krawatte versehener Mann stand auf einem kleinen Podest und deutete auf einen abgesteckten Parcours, der links und rechts mit Sitzbänken markiert war.

"Da die Breite von Fahrradwegen nach den allgemeinen Bestimmungen nicht auf Werte unter 30 cm begrenzt werden kann, sollten in regelmäßigen Abständen kleine Hindernisse die Fahrbahn so verengen, daß der Gegenverkehr wirkungsvoll behindert wird. Zwei Bürgermeisterkollegen haben sich freundlicherweise bereit erklärt, dies zu demonstrieren. Bitte, meine Herren

"Der Mann ist Planungsleiter im Bundesverkehrsministerium", flüsterte mir Rudi zu. "Paß auf jetzt!"

Zwei stark beleibte Persönlichkeiten strampelten unsicher auf Fahrrädern entgegen. An einem Blumenkübel, der die Fahrradwegbreite auf die Hälfte reduzierte, trafen sie mit mittlerer Geschwindigkeit aufeinander. Das Geräusch war stark metallisch.

"Die Fahrräder werden aus einem Sonderfont zur Verkehrsberuhigung bezahlt" flüsterte Rudi.

Die Zuschauer klatschten beeindruckt Beifall.

"Nach unseren Erfahrungen reduziert diese Maßnahme binnen kürzester Zeit wirkungsvoll die Zahl radfahrbereiter Personen. Wichtig ist natürlich, daß in solchen Straßen Fahrradwege nur in einer Richtung bestehen. Diese Vorgehensweise wird auch gerne als das 'Ringstraßen-Theorem' bezeichnet!"

Rudi schob mich an die nächste Station. Auch hier waren wieder Straßenverläufe abgesteckt.

"Die sogenannte Schnittstellentheorie. Sehr wirksam!"

Ich blickte ihn fragend an. Rudi betrachtete mich mitleidig.

"Ist doch ein altbekannter Planer-Trick: Die Verkehrsarten so oft mischen, wie es geht. Also, 50 Meter Radweg auf der linken Seite, dann radikaler diagonaler Wechsel über die Straße mit völlig unklaren Vorfahrsverhältnissen, begleitend ein durchqueren des Fußgängerwegs, um eine komplette Durchmischung des Verkehrsstromes zu erreichen (erw. Schaadsche Platzmethode). Diese Wechsel, alle 50 Meter vorgenommen, vergraulen auch den letzten Radfahrer und entnerven Fußgänger so sehr, daß sie auch kleinere Besorgungen endlich mit dem Auto unternehmen. Aus verständlichen Gründen mußten wir auf Amateurstuntmen zurückgreifen. Arbeitslose Lehrer auf ABM-Stellen."

Das Gewimmel war beeindruckend. Diverse Fußgänger, durch Kastenwände an seitlicher Flucht gehindert, hetzten den Bürgersteig entlang, von sporadisch kreuzenden Fahrrädern verfolgt, die wiederum den Autos simulierenden Gocarts auszuweichen hatten. Schreiend hechtete ein arbeitsloser Geschichtslehrer flüchtend über die Absperrung, nur um von einem Gocart überrollt zu werden. Weiter vorne prallten 2 Fahrräder mit einem dumpfen Schlag aufeinander.

"Hast Du das gesehen, wie der eine mitsamt dem Rad einen glatten Überschlag geschafft hat!" Rudi war hingerissen.

"Bei cleverer Planung nach meinen Vorgaben kommen wir auf einen Wert von 30 RZQ pro Stunde (Rudis-Zusammenstoß-Quotienten). Interessant für jede kommunale Planungsbehörde. Weiter: Angewandte Freizeitplanung."

Hier wurden den sitzenden Zuschauern ausgewählte Videos aus der Praxis vorgeführt, während eine Referrentin die gezeigten Bilder erläuterte.

"Wichtig ist, kein Miteinander zwischen Fußgänger und Radfahrer aufkommen zu lassen. Derartige Solidarisierungseffekte sind kommunalpolitisch nicht als konstruktiv anzusehen. Ein gesundes Spannungsverhältnis ist besonders da notwendig, wo keine Autos das beieinander stören könnten. Also im Freizeitbereich."

Sie räusperte sich. Rudi flüsterte mir ins Ohr.

"Hier kannst Du ausgewählte Beispiele aus dem Salinental bewundern."

"...wichtig ist, keinesfalls eine Trennung der Wege von Fußgängern und Radfahrern zu ermöglichen. Nein, eine gesunde Durchmischung ist sehr wichtig. Hier sehen Sie 4 Radfahrer, wie sie auf dem gemeinsam benutzen Weg versuchen, an einer Gruppe von Fußgänger vorbeizukommen. Achtung, jetzt schwenkt die ältere Dame nach links und macht die Durchfahrt zu. Beachten Sie bitte, daß sie hintereinander von 2 Radfahrer überrollt wird, während der dritte Radfahrer auf den Grünstreifen ausweicht und in eine Ulmengruppe rast. Sehr tragisch. In dieser Szene hier sehen sie einige Beispiele für überfahrene Pudel sowie einen platten Teckel. Hier ein verzweifelter Mountain-Biker, wie er von einer Dogge gehetzt wird. Beobachten Sie, wie der plötzlich ausgestreckte Arm des Fußgängers den herannahenden Radfahrer von seinem Gefährt fegt! Um dies zu ermöglichen, dürfen die Wege keinesfalls breiter als 1 Meter 20 angelegt werden. Und keine trennende Fahrbahnmarkierung!

Wirkungsvoll auch die Effekte durch den plötzlichen Einsatz von Fahrradklingeln..."

Auf dem Film sah ich gerade noch einen zu Tode erschrockenen Rentner in einen vorbeifließenden Kanal springen. Er verschwand rudernd am Horizont, bevor Rudi mich weiter schob.

"Station 4: Behindernder Einsatz von Ampeln mit minimaler Grünphase. Station 5: Anlage von Radwegen so, daß sie garantiert nicht von Autofahrern erkannt werden können und grundsätzlich zugeparkt werden. Station 6: Anleitungen, wie enge Einbandstraßen für Radfahrer in Gegenrichtung freigegeben werden können, damit eine Höchstzahl von Kollisionen gewährleistet werden kann. Station 7: Führung von Abbiegespuren über Radwege, um...

"Genug. Das ist ja schauerlich! Damit vergrault man ja noch den letzten Radfahrer. Glaubst Du ernsthaft, daß das irgendeine Behörde jemals in Erwägung ziehen würde?

Rudi starrte mich fassungslos an.

"Wieso würde? Es wird doch schon überall so gemacht!"


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Last updated 96/11/23