Bodenbelag

(c) Klaus Marion 2000

erschienen 3/2000 in VorSicht

 


In der Geschichte des Menschen gibt es immer wieder Augenblicke, in denen
vom Manne harte und schnelle Entscheidungen gefragt sind. Der Kampf
gegen einen in die Höhle eindringenden Bären, die Verteidigung der Familie,
die Bedrohung durch barbarische Horden. Oder die Faltenbildung des
Esszimmerteppichs.
Als dessen Tendenz, kleine Hügel und Berge mitten im Raum zu bilden,
Ausmaße angenommen hatten, die dem Hund ein Überqueren dieser Bereiche
stark erschwerten, schien es Zeit, über einen Austausch nachzudenken.
Ein kurzer Überschlag der vorhandenen monetären Mittel ließ in mir die
Entscheidung reifen, den notwendigen Austausch des Bodenbelags in eigener
Verantwortung vorzunehmen. In der Reaktion meiner Frau glaubte ich, ganz
leise Zweifel herauszuhören:
"Selber verlegen?? Du???"
Ich erläuterte ihr, dass ich in der Grundschule den Bastelunterricht im Bereich
Intarsien- und Einlegearbeiten immer mit sehr guten Zensuren abgeschlossen
hatte und mich daher für alle Arbeiten in diesem Bereich bestens gerüstet
sähe.
Über die Art der neuen Bodenbedeckung war schnell Klarheit gefunden. Ein
natürlicher Korkboden sollte es sein, atmungsaktiv, warm und anheimelnd.
"Weißt Du überhaupt, wie man Kork verlegt?"
"Natürlich. Wie soll man den denn schon verlegen? Man legt Platten
nebeneinander und nagelt sie fest."
Für die Beschaffung des notwendigen Rohmaterials beschlossen wir, ein
auswärtiges Fachgeschäft in Anspruch zu nehmen. Ein kompetent
aussehender junger Mann hörte sich unseren Wunsch nach Bodenmaterial zur
Verlegung interessiert an. Er deutete auf die den Raum füllenden Muster.
"Kork ist eine gute Wahl. Solide. Und bei Wahl von günstigem Material auch
nur unwesentlich teurer als Parkett."
"Die Preise hier beziehen sich je Wohnraum?"
"Je Quadratmeter."
Ich starrte auf Beträge in der Größenordnung des Bruttoinlandsproduktes
kleinerer afrikanischer Staaten.
"Die Preise verstehen sich zuzüglich den Verlegekosten durch unseren
Handwerksbetrieb."
Er deutete mein erstarrtes Schweigen richtig.
"Bei entsprechendem Geschick natürlich auch ganz einfach selbst zu verlegen.
Sie sehen sich dazu in der Lage?"
Ich erklärte, dass ich mit Hammer und Nagel bestens vertraut wäre.
Der Verkäufer brach in schallendes Gelächter aus
"Hammer und Nagel. Das ist ein klasse Witz! So was! Na, die brauchen wir
ja Gott sei Dank nicht. Die Platten werden geklebt."
Ich fiel in sein Lachen ein.
"Tja, für den Anfänger mit zwei linken Händen gibt es hier ein Video, auf dem
alle Arbeitsschritte deutlich erklärt werden."
Wir einigten uns auf den Kauf einer passenden Zahl von Korkfließen in einer
hübschen Naturstruktur, Anlieferung nach Hause. Der Verkäufer fragte noch
einmal, ob ich nicht doch das Video mitnehmen wolle. Zur Sicherheit.
Um ihm einen Gefallen zu tun, willigte ich schließlich ein. Für meinen Sohn.
Zur außerschulischen Bildung. Er ist zehn Jahre alt.
Meine Frau überredete mich, vor Beginn der Arbeitsschritte noch einmal kurz
das Video zu betrachten.
Es war grauenhaft. Seit dem Öffnen meiner Abituraufgaben im Fach Physik
hatte ich keine Situation mehr erlebt, in der ich so völligem wissensmäßigem
Neuland gegenübergestanden habe. Ein netter Mensch erläuterte in
anderthalb Stunden ausführlich alle notwendigen Maßnahmen zur
Bodenbelagverlegung. Alle rund 200 Arbeitsschritte wurden kurz und
prägnant vorgestellt.
Ich beschloss, meiner Lebenserfahrung das Kommando übernehmen zu
lassen.

Der erste Schritt bestand im Beseitigen des bisherigen Bodenbelags und dem
Entfernen eventueller Klebstoffreste vom Estrich. 'Achten Sie darauf, den
Estrich beim Entfernen nicht zu beschädigen. Bei unsachgemäßer Handhabung
kann dies leicht passieren'. Dies bestätigte mir dann auch der
Handwerksmeister, der mir innerhalb einer Woche einen neuen Estrich
verlegte. Das anschließende Vorbehandeln des Untergrunds, die Grundierung
des Bodens, das Vorleimen der Platten, das Aufbringen des
Komponentenklebstoffs auf dem vorbehandelten Estrich sowie des
Niveauausgleichs waren eigentlich schnell durchgeführt und benötigten für
unseren Esszimmerbereich kaum zwei Wochen. Ich verlegte die Platten.
"Sie sind schief." Meine Frau war sehr bestimmt.
Ich widersprach. "Sie sind in einem zwanglosen Bogenmuster gelegt. Das ist
modern."
"Sie sind schief."
Der telefonisch kontaktierte Verkäufer war irritiert.
"Natürlich müssen Sie die Platten plan legen. Ist doch kein Memory-Spiel.
Oder wie wollen Sie denn die Fugen füllen?"
Verlegen lachend stimmte ich ihm zu.
Mir fiel ein, dass ich damals die guten Noten in Häkeln bekommen hatte.
Gott sei Dank lassen sich die Platten aufgrund des Spezialklebstoffs relativ
leicht entfernen. Allerdings nur, wenn man die Verklebung streng nach
Anleitung vorgenommen hat, sonst lösen sich Platten und Untergrund niemals
wieder voneinander. Dies bestätigte mir auch der Estrichmeister, der den
Estrich erneut komplett verlegte.
"Mein Gott, da hat jemand die Grundierung und den Basiskleber in der
falschen Reihenfolge aufgebracht. Sie sollten ihren Boden lieber nicht mehr
von so einem Idioten verlegen lassen!" Ich versprach dies nach Entsorgung
des Korks zu beherzigen.
Kaum zwei Wochen später war alles erledigt.
"Ist doch jetzt sehr schön gerade geworden."
"Ja, aber die Oberfläche sieht aus wie Pressspan."
Ich beschloss zur Sicherheit eine telefonische Kontaktaufnahme mit dem
Fachmann.
"Das ist die Pressspanschicht auf der Unterseite", röhrte es mir am Telefon
entgegen, "Sie haben die Platten verkehrt herum verlegt."
Die Rückseite verhält sich anscheinend klebetechnisch ganz anders. Ich
verhandelte mit dem Estrichmeister über einen Großmengenrabatt.
Der neue Anlauf verlief wider erwarten absolut reibungslos. Nur nach
Aufbringung des Decklacks hatte sich die edle Naturfarbe des Korks etwas
ins weißliche verfärbt. Um es genau zu sagen: Sie war absolut weiß.
Die Stimme des Korkfachverkäufers war jetzt angestrengt bemüht.
"Die weiße Farbe wird zur Aufhellung im Verhältnis 1 zu 100 beigemengt.
Und nicht 1 zu 1."

Ich habe jetzt einen neuen Teppichboden legen lassen. Von einem
Fachbetrieb. Und jedem, der es hören will, erkläre ich, wie einfach es ist, so
etwas selber zu machen.

K. Marion


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Last updated 16.04.00