Fußangeln

(c) Klaus Marion 1999

erschienen in VorSicht 8/99


Wenn die Wörter "Gesundheitsreform", "Medikamentenbudget" und
"Punktesystem" in den Nachrichten erwähnt werden, handelt es sich einmal
wieder um Zoff zwischen Ärzten, Krankenkassen und der Politik – und um
den ewigen Streit darum, wer denn was bezahlen soll. Bisher ließen mich diese
Fragen relativ kalt – bis zum letzten Donnerstag...

Meine Besuche bei Deutschen Ärzten waren bisher dankenswerterweise recht
selten. So betrachtete ich es als eine interessante Erfahrung, mich nach langer
Zeit wieder einmal selbst zu einem praktischen Mediziner zu begeben. Ein
betrunkener Kleiderschrank vom Aussehen eines Urwaldgorillas und dem
Sprachvermögen eines Bono-Schimpansen war im Gewühl des Jahrmarktes
auf meinen rechten Fuß getreten - und benötigte geschlagene 15 Sekunden, um
mit einem "HÄÄ??" seine Riesentreter von meinem Fußwerk zu entfernen. Der
so malträtierte Fuß ließ es sich nicht nehmen, daraufhin schmerzhaft
anzuschwellen. Da auch der große Zeh bei diesem Geschehen nicht
zurückstehen wollte, schien es mir angezeigt, den schmerzhaften Vorfall dem
Arzt meines Vertrauens zu berichten.
Nach längerem Sitzen im Wartezimmer wurde ich in das Behandlungszimmer
gerufen. Der Arzt betrachtete sich mein malträtiertes Laufwerkzeug von allen
Seiten, klopfte an verschiedene Stellen, um schmerzhafte Bereiche zu
identifizieren (und war bei dieser Suche äußert erfolgreich) und ging wieder zu
seinem Schreibtisch. Nach einem langen Blick in verschiedene Handbücher
und einigen gemurmelten Sätzen setzte er sich wieder in seinen Stuhl, um mir
schonungslos seine Diagnose zu unterbreiten: "Sie haben einen geschwollenen
Fuß aufgrund der äußeren Belastung mit einem hohen Gewicht!"
Ich bedankte mich für diese erhellende Information. Doch der Arzt konnte
mich beruhigen.
"Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das geht meistens von selber
wieder weg. Ich schreibe Ihnen hier aber ein paar Sachen auf, damit sind Sie
ruckzuck wieder auf den Beinen!"
Er betätigte einige Tasten an seinem Datenverarbeitungsgerät auf dem
Schreibtisch, worauf verschiedene bedruckte Papiere und Formulare aus
einem kleinen, auf einem Beistelltisch stehenden Drucker ausgespuckt wurden.
Er drückte Sie mir in die Hand und verabschiedete mich mit einem
optimistischen: "Wenn’s nicht besser werden sollte, kommen Sie einfach noch
einmal vorbei!"
Ich betrachtete die verschiedenen Blätter in meiner Hand. Das Rezept für eine
Massagecreme verletzter Gliedmaßen empfand ich als sinnvoll, der Zettel
darunter war aber deutlich rätselhafter.
"Wozu ist denn hier die Überweisung zu einem Orthopäden? Ich dachte, der
Fuß wäre nicht weiter schlimm?"
Der Arzt blickte mich kurz an. "Das ist wegen der verletzten Schulter. Zehn
Sitzungen vom Masseur mit Eigenbeteiligung zum Wiederaufbau der Muskeln
im rechten Schulterbereich."
Ich prüfte kurz meine Schultern, konnte aber nichts Auffälliges entdecken.
"Meine Schultern scheinen aber in Ordnung zu sein."
"Das ist wegen der akuten Knochenhautentzündung. Da muss man im Anschluss
schon aufpassen, dass keine bleibenden Muskelschäden in den betroffenen
Regionen zurückbleiben können."
"Ich habe aber keine Knochenhautentzündung!"
Der Blick des Arztes wich mir aus. "Doch, haben Sie."
"Habe ich?"
"Ja", murmelte der Arzt. "Eine Folge der allergischen Reaktion auf das Chinin.
Das ist die Überweisung direkt über der Einweisung wegen dem Stich durch
eine Tsetsefliege."
Ich betrachtete irritiert die vor mir liegenden Blätter.
"Ich hatte Malaria??"
"Nun, das kann in deutschen Krankenhäusern schon mal passieren. Da steckt
man sich leicht mit irgendwelchen exotischen Krankheiten an. Wissen Sie,
während meines Studiums hatten wir Fälle, die..."
"Krankenhaus??? So schlimm ist das mit dem Fuß doch gar nicht!"
"Nein, wegen der Blinddarmoperation. So ein Blinddarm ist eine Sache, die
man nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte! Haha!"
"Ich bin nie am Blinddarm operiert worden!"
"Nuun... Das ist erst übernächste Woche. Ich habe Ihnen die Einweisung
schon fertig gemacht. Eine Woche, dann sind Sie wieder draußen. Das geht
heutzutage ganz flott."
"Ich gehe nicht in zwei Wochen ins Krankenhaus."
"In Ordnung. Ich rufe direkt an und lasse mir für Sie einen früheren Termin
geben. Das ist zwar schwierig, aber ich kenne den Schwager vom Chefarzt der
Inneren..."
"Ich gehe gar nicht ins Krankenhaus. Was soll denn der ganze Unsinn?"
Der Arzt war hinter seinem Schreibtisch zusammengesunken und warf mir
flehende Blicke zu.
"Jetzt machen Sie mir doch keine Schwierigkeiten. Sie kommen auch schon
nach drei Tagen wieder raus, wenn Sie unbedingt wollen. Das drehen wir
schon so hin...ARRGL"
Das rhythmische Schütteln an seinem Kragen unterbrach ihn.
"Ich gehe nicht ins Krankenhaus! Ich habe nichts am Blinddarm!! Ich habe
einen wehen Fuß!"
"Doch. Nein. Jetzt haben Sie doch Mitleid. Sie haben nichts am Fuß. Sie
haben Blinddarm!"
"?"
"Wir haben in der Abrechnung mit den Kassen ein Punktesystem und eine
Glaubwürdigkeitsprüfung. Fußverletzungen habe ich in diesem Jahr schon viel
zu viele gehabt. Jede weitere Fußverletzung wird von den Krankenkassen als
unglaubwürdig aussortiert, führt zur Durchsuchung meiner Praxis, zu
Kürzungen meiner Erstattungen, ich muss Angestellte entlassen, meine Kinder
werden Hunger leiden." Er schluchzte auf.
"Ich habe das hier im Rechner genau geprüft. Fünf Blinddärme habe ich noch
frei. Das geht also. Deswegen waren Sie heute wegen Blinddarm da. Ich hätte
da allerdings auch noch eine Fußamputation frei. Das kommt ihren
Fußschmerzen doch recht nahe, und Sie müssen kein schlechtes Gewissen
haben...?" Er blickte mich hoffnungsvoll an.
"Nein. Aber was soll das dann mit der Malaria?"
"Nun, bei den Kürzungen in den Erstattungsrichtlinien kann ich Ihnen weder
eine Salbe noch Massage verschreiben. Wegen dem Malariaanfall und der
Knochenreizung aufgrund des allergischen Anfalls ist jedoch eine
Heilbehandlung erstattungsfähig. Und wenn Sie dem Masseur ein Kistchen
Wein rüberschieben, dann massiert er Ihnen außer der Schulter vielleicht auch
noch die Füße." Er blickte auf seinen Computer. "Auch wenn mich das einige
Abrechnungspunkte extra kostet. Aber der Dienst am Patienten war mir schon
immer wichtig."
Ich starrte auf die verschiedenen Blätter. Das leuchtete mir ein.

Der Blinddarm ist inzwischen entfernt, und den Malariaanfall habe ich gut
überstanden. Sobald die allergische Reaktion nachlässt, werde ich die Salbe
besorgen. Meinem Fuß geht es auch schon deutlich besser. Vielleicht brauche
ich die Salbe gar nicht mehr. Es geht doch nichts über eine kompetente
medizinische Behandlung.

Klaus Marion


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Last updated 18.09.99