Trendsport

(c) Klaus Marion 1997

erschienen in VorSicht


Irgendwann ist es schließlich soweit: Deine Schulzeit ist endlich vorüber, Du hast im Rahmen des Gnadensweges der Direktion gerade noch einen Abschluß abringen können, und nun schreitest Du endlich der glorreichen Freiheit entgegen.

Mal abgesehen davon, daß es sich ziemlich bald zeigt, daß Dein Chef im Durchschnitt noch mindestens fünf mal bösartiger sein kann als der Oberstudienrat Maier mit seinen Deutschaufgaben, ist damit Dein schulisches Kapitel abgeschlossen. Nur ab und zu wirst Du mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert, daß Du vielleicht damals im Unterricht doch etwas mehr hättest aufpassen sollen. Aber das wars dann auch.

Bis dann einige Jahre später urplötzlich ein Brief in Deinem Briefkasten liegt, dessen Absender Dir völlig unbekannt zu sein scheint. Ein gewisser Bodo schreibt da in flottem Stile etwas von einer Klassenfeier, zu der Du doch uuunbedingt kommen solltest, alles gaaanz toll, für gemüüütliche Räumlichkeiten und Verpflegung ist gesorgt, Getränke frei, der Unkostenbeitrag ist zu überweisen auf nachfolgendes Konto.

Jetzt dämmert es Dir, daß es sich bei Bodo um eben jenes Subjekt handeln muß, das Dich auf dem Heimweg immer zu verprügeln pflegte. Oder? Nein, das war Herbert. Bodo überredete Dich unter Vorzeigen seiner Muskeln nur immer dazu, freiwillige Taschengeldspenden für bedürftige Schüler abzuliefern. Hauptsächlich für den bedürftigen Bodo. Und Bodo war mindestens Einsneunzig groß, und das im Schatten.

Hm. Schule? Was aus den anderen Gestalten wohl geworden ist? Irgendwie wirst Du doch neugierig, und völlig unvorsichtig sagst Du also zu, ohne Dir der großen Gefahren und Herausforderungen im klaren zu sein, die da auf Dich warten.

Deswegen hier in der VORSICHT, dem ultimativen Ratgeber für alle Lebenslagen, wichtige Hinweise für das Überleben derartiger Veranstaltungen

IWiedererkennen

Solltest Du tatsächlich der pathologischen Ansicht sein, Du hättest Dich in den letzten 10 Jahren äußerlich überhaupt nicht verändert, so müßte Dich ein nachdenklicher Blick in einen beliebigen Spiegel eines besseren belehren. Zwar zählt nur bei Hunden jedes Lebensjahr wie sieben, doch bei regelmäßigen Kneipengängern oder exzessiven Sonnenanbetern rückt die Seniorenkarte vom Äußeren her schon in jungen Jahren in greifbare Nähe. Dazu kommt bei männlichen Zeitgenossen noch der stark verändernde Effekt verlorenen Haupthaares, das Mütter beim Auftauchen Deiner Wenigkeit dazu bringt, vorsorglich die Kinder ins Haus zu holen. Erwarte also nicht, daß Du auch nur irgend jemand eindeutig erkennen wirst. Lauter völlig fremde Gesichter, denen Du unmöglich schon einmal begegnet sein kannst. Das einzige Dir bekannt vorkommende Gesicht ist das des Kellners, und auch nur, weil er in Deiner Stammkneipe ab und zu auszuhelfen pflegt.

So wirst Du den Abend damit zubringen, verstohlen durch die Menge zu waten, immer in der Hoffnung, endlich mal eine bekannte Gestalt zu entdecken. Und hast Du dann mal eines gefunden, wird Dir natürlich der Name nicht einfallen. Dann mußt Du versuchen, im Rahmen eines herantastenden Gespräches, die Identität zu ergründen ("Ja, Du hattest doch so einen Spitznamen, wie war der nochmal...?" "Ich hatte keinen Spitznamen").

Besonders hinterhältig ist die Tatsache, daß zumeist auch angeheiratete Partner an solchen Festen teilnehmen dürfen, die dann jegliche Identifikation unmöglich machen.

Fazit: Einen ganzen Abend vorsichtige Gespräche mit irgendwelchen Personen, die Du zu neunzig Prozent sowieso nicht zuordnen kannst.

Erfolg

Klassentreffen sind frustrierend. Nicht, daß Du nicht erwartet hättest, daß der Klassenstreber im richtigen Leben es tatsächlich zu etwas bringen würde. Damit könnte man sich noch abfinden. Nein, die Kerle machen alle den richtigen Reibach, es geht Ihnen wirklich SUUPER, das neue Haus ist GAAANZ toll geworden, die Ferienwohnung in der Toscana ist eine Wucht, und der 7er BMW ist einfach göttlich zu fahren. Und selbst der Klassendepp ist jetzt irgendein hohes Tier in der Landesregierung geworden. Und Du? Verzweifle nicht. Fotografiere im Vorfeld einfach irgendeine Nobelkarosse in der Straße, eine beliebige Villa mit großem Garten sowie eine Abbildung von Linda Evangelista, grinse bei Bedarf den unerträglichen Angeber dir gegenüber überlegen an, und knalle die Bilder einfach wie in der Werbung auf den Tisch "Mein Haus mein Auto meine Freundin!"

Päng-Päng-Päng muß das kommen, um den richtigen Effekt zu erzielen. Auf mißtrauische Nachfragen erzählst Du einfach etwas von Im- und Export und gibst laut zu bedenken, daß man doch heute zusammengekommen ist, um über Früher zu reden. Lassen wir doch das Geschäftliche... Das beschämt die elenden Materialisten und bringt sie zum verstummen. Übrigens: Immer mit dem Taxi kommen. Sonst könnte man am Schluß Deine Rostschüssel noch sehen.

Anekdoten

Nichts ist auf Klassentreffen so beliebt wie das Erzählen von Anekdoten. "Wißt Ihr noch, wie jemand den Farbeimer über Studienrat Müller geschüttet hat? Niemand hat das damals rausgekriegt. Das war doch der Klaus gewesen!" Zwar ist die gigantische Lacherfolg äußerst positiv zu bewerten und wirkt stark aufbauend auf das eigene Selbstbewußtsein, auf der anderen Seite findet der ebenfalls eingeladene Studienrat Müller diese Enthüllung merkwürdigerweise überhaupt nicht komisch und wird anderntags seinem Bruder bei der Steuerfahndung einen heißen Tip geben.

Genauso verhält es sich mit den diversen Frauengeschichten, die alle ehemaligen Klassenkameraden doch so ulkig finden, nur die Ehefrau, die Dich dazu gedrängt hat, gemeinsam an diesem Klassentreffen teilzunehmen, kann daran überhaupt nichts erheiterndes finden und beschließt lautstark, sich von diesem infantilen Lustmolch noch am selbigen Abend zu trennen.

Natürlich wird sich auch herausstellen, daß der damalige Direx noch heute keinerlei Humor versteht, sondern versuchen wird, nach der Enthüllung Deines raffinierten Abschreibmanövers beim Abi ebendieses noch nachträglich wegen Betruges annulieren zu lassen.

Kosten

Völlig rätselhaft bei derartigen Veranstaltungen ist der sogenannte Unkostenbeitrag. Er beläuft sich zumeist auf einen Betrag in Höhe eines durchschnittlichen Wochenendurlaubs und wird pauschal erhoben, damit "die armen Organisatoren" nicht die Veranstaltung aus eigener Tasche bezahlen müssen. Wie unter Berücksichtigung des gerade noch ergatterten halben Brötchens mit verwelkter Salatscheibe vom Buffet und dem halben Liter lauwarmen Bieres derartig exorbitante Summen zusammen kommen können, ist ein immerwährendes Rätsel. Ein investigatives Nachfragen wird zumeist übel genommen, man solle sich nicht so anstellen, schließlich sei so ein Treffen ja nicht jedes Jahr.

Gott sei Dank



Klaus Marion


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Last updated 21.02.99