Offener Brief an alle EMail-Nutzer

(c) Klaus Marion 4/2004

erschienen in VorSicht

 


Zu den wichtigsten neuen Kommunikationsformen gehört neben der SMS die EMail. Ob bei T-Online, AOL oder sonstigen Providern, so ziemlich jeder Computerbesitzer ist inzwischen mehr oder weniger gut auch elektronisch zu erreichen.
Interessanter Weise führt das Öffnen des elektronischen Postfachs bei vielen Anwendern zu einer seltsamen Geisterverwirrtheit, über die an dieser Stelle einmal offen und schonungslos gesprochen werden sollte: Dementia EMailis. Symptome sind dabei die Reduktion der allgemeinen Denkfähigkeit sowie ein signifikant erhöhter Realitätsverlust.
Zu diesem Zweck hat VORSICHT, das Magazin für schonungslose Aufdeckung, die nachfolgende Denkschrift bereitgestellt, die helfen soll, den von der genannten Krankheit befallenen Computeranwender vor allgemeinen Dummheiten zu bewahren.

Lieber EMail-Nutzer,
nach dem Starten Deines EMailprogramms und dem Herunterladen der neuesten Post wirst Du vermutlich (besonders in letzter Zeit), eine große Anzahl von EMail vorfinden. Ganz unterschiedliche Post ist da an Dich gerichtet worden, obwohl viele der aufgelisteten Absender Dir gänzlich unbekannt sind.
Du wirst die Post lesen und... Ja, hier müssen wir Dich mit einigen wichtigen und teilweise betrüblichen Realitäten des Lebens bekannt machen.
Fangen wir mit der netten EMail von Mr. Obojoje aus Uganda an. In einfachem Englisch teilt er Dir mit , dass leider, leider, auf der Bank von Uganda ein Konto mit einem milliardenschweren Erbe liegengeblieben und dass es dummerweise nicht einem Erben zuzuordnen ist. Da Mr. Obojoje zufällig der aufsichtsführende Zuständige für das Konto ist, und der Betrag in 3 Wochen an den Staat fallen würde, möchte er Dir einen tollen Deal vorschlagen. Dieser wird auf den nächsten Seiten sehr kompliziert beschrieben, kann aber vereinfacht so zusammengefasst werden: "Du überweist mit 1000 Euro, ich überweise Dir dafür 100 Millionen Euro, abzgl. 1,5% Bearbeitungsgebühr, und wir halten beide die Klappe über die Sache."
Leider muss ich Dir sagen, dass der Inhalt dieser EMail nicht der Wahrheit entspricht.
Das ist so, als ob Du in der Kneipe von einem Fremden angesprochen wirst, der Dir in sagt: "Gib mir einen Hunderter, ich gehen dann raus zum meinem Auto mit laufendem Motor und hole Dir dafür eine Million in kleinen Scheinen. Aber nur, wenn Du sitzen bleibst, die Augen schließt und frühestens in 6 Stunden schaust, wo ich bleibe!"
Besonders lustig ist der Versuch, in Uganda Strafanzeige gegen Mr. Obojoje zu stellen, mit der Begründung, er habe Dich bei Deiner Beteiligung an einem Versuch einer milliardenschweren Unterschlagung von dem Staat gehörenden Finanzmitteln betrogen...
In eine ähnliche Kategorie fällt das EMail der "Ich-bin-so-wild-auf Dich-Susi", in der diese in knappen Worten verkündet, dass "Deine Blicke gestern mich richtig wild gemacht haben. Klicke HIER für ein paar scharfe Bilder von mir!"
Hier, wie in allen solchen Fällen, empfiehlt sich Scott Adams Methode der größten Wahrscheinlichkeit: Was ist wahrscheinlicher: Das eine liebeshungrige, nymphomanische, auf Dich total stehende junge Dame, deren Namen Du weder kennst noch sonst eine Ahnung hast, wer sie sein soll, Dir in ihrer emotionalen Not heiße Photos schickt - oder dass irgend jemand Dich liebeshungrigen Dödel einfach übers Ohr hauen will?
Hm?
Na also.
Es sollte sich ja inzwischen herumgesprochen haben, dass zu den beliebten Methoden, anderen Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen, die Installation von sog. Dialern gehört, kleinen Programmen, die statt Deinen normalen T-Online-Account zu nutzen, sich über sauteure 0180er-Nummern ins Internet wählen. Was bringt geistig gesunde Personen dazu, auf die Behauptung der oben genannten Susi, Du müsstest, damit der Ehemann nichts erfährt, beigefügten "Internet-Turbobeschleuniger" zu installieren? Vielleicht der Satz: "Oh, bin ich heiß!"?
In die gleiche Kategorie fallen Angebote der Art, bei denen Viagra aus Kasachstan per Internet angeboten wird, Versand nach Bezahlung per Kreditkarte.
Spätestens hier kommt offensichtlich der Demenzfaktor ins Spiel.
Ist es denkbar, dass Leute irgendetwas schlucken, was von einer obskuren Hinterhoffirma stammt, von der sie noch nichts gehört haben, die sie nie im Leben sehen werden und bei der die Chance, sie wegen etwas zu verklagen, gegen Null geht?
Ja, anscheinend. Genauso verlockend wohl wie das Angebot irgendwelcher Porno-Seiten aus Nepal. Lieber EMail-Nutzer: Kämst Du im normalen Leben auf die Idee, Nummer, Name, Datum und Sicherheitscode Deiner Kreditkarte irgend jemand auf der anderen Seite der Erdkugel zuzufaxen, in der Hoffnung, ein paar bunte Bildchen von Damen mit textilen Mangelerscheinungen zu sehen?
Natürlich kann man versuchen, die darauf einsetzenden Flut von illegalen Abbuchungen auf dem Kreditkartenkonto dadurch zu bekämpfen, dass Du laufend eidesstattliche Erklärungen der Kreditkartenfirma gegenüber abgibt, damit überhaupt nichts zu tun zu haben. Ist wahrscheinlich sehr lustig, die Pornoabbuchungen mit der freundlichen Dame bei der Kreditkartenzentrale zu diskutieren.
Der allgemeine Tiefpunkt der geistigen Verwirrung sind jedoch die seltsamen Ketten-EMails, bei der Du aufgefordert wirst, beigefügte Nachricht an möglichst viel Freunde und Bekannte zu verteilen. Bei näherem Nachdenken sollten eigentlich 95% der Nachrichten als (möglicherweise witziger) Schwachsinn zu enttarnen sein ("Achtung: Niemals die Ziffernkombination 23340 auf dem Handy wählen. Sonst wird von der Telekommunikationsbehörde Dein Handy per Fernzündung zerstört!").
Der Gipfel sind jedoch Nachrichten der Art "Vielleicht habe ich Dir einen Computervirus geschickt! Schau nach, ob Du die Datei xyz.exe auf Deinem Rechner hast. Wenn ja, einfach löschen und diese Nachricht an möglichst viele Freunde weiterleiten!"
Hä? Ja logisch ist diese Datei auf Deinem Rechner! Sie gehört zu Deinem Windows dazu, und wenn Du sie löschst, funktioniert der Rechner beim nächsten Hochfahren nicht mehr!
Lieber EMail-Nutzer, wenn Dir ein Kumpel schreibt, dass möglicherweise Dein Auto verwanzt worden wäre und Du nachschauen sollst, ob irgendwelche Kabel von Deiner Autobatterie wegführen - würdest Du dann der Aufforderung nachkommen, "Falls ja: Es war die CIA! Reiße alle Kabel raus und informiere bitte noch alle Deine Bekannten darüber, das Gleiche zu tun"??
Lieber EMail-Benutzer, am besten bittest Du Deinen Freund oder Deine Freundin darum, Dich vor dem Lesen von EMails festzubinden, um jegliche Gefahr von Dummheiten zu verhindern.
Oder überweise mir 200 Euro auf mein Konto auf den Fidschi-Inseln. Ich werde dann durch gedankliche Konzentration alle unerwünschten EMails von Dir fernhalten. Garantiert!

Klaus Marion


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Last updated 08.07.05