Steuern

(c) Klaus Marion 1999

erschienen in VorSicht 6/99


Die Pläne der Bundesregierung im Bereich der Steuern, Renten und Abgaben
gelten als nicht völlig unumstritten. Man muß sich wirklich fragen, wie es zu
einigen dieser Ideen kommen konnte...


"Da bist du ja!" Ausrufe dieser Art in Personalunion mit einem wilden Grinsen
deuten bei meinem Freund Rudi entweder auf in Angriff genommene
berufliche Höhenflüge oder den plumpen Versuch hin, sich bei mir unter
Ignorieren des bisherigen Schuldenstandes wieder einmal Geld zu leihen.
Sein wildes Gestikulieren, um an der Theke zwei Bier zu bestellen, legten die
Vermutung nahe, daß seine finanziellen Engpässe momentan nicht ganz so
akut zu sein schienen, und er ein neues Projekt in Arbeit hatte.
"Prost!"
Rudi stellte sein Bier nach einem großen Schluck beiseite und atmete tief ein.
"Du sitzt vor dem Planungsleiter des Expertenteams für zukünftige
Steuerpolitik!"
Mein Verschlucken schlug sich in einem schweren Husten nieder.
"Etwas mehr Respekt bitte! Die "Stadt- und Kommunale Steuergruppe"
entwirft Szenarien für eine zukünftige Steuerpolitik. Tolle Sache. Von mir
gegründet!"
"Also so eine Art Stadt- und Kreispartei?"
"Nein! Wir sind was ganz Seriöses: Ein Planungsunternehmen, in dem junge,
kreative Seiteneinsteiger jenseits des durch Fachwissens künstlich
eingeengten Horizontes innovative Zukunftspläne erstellen, um sie den
politischen Gruppen als Lösungsstrategien für das kommende Jahrtausend
anzubieten!"
"Also lauter Leute, die von Steuergesetzgebung keine Ahnung haben und
trotzdem irgendwelche Strategien entwerfen?"
"Nun, überspitzt formuliert, vielleicht", räumte Rudi ein, "aber das kann ja zu
innovativen, neuen Ideen führen. Sieht man doch an der Bundesregierung.
Und wer sagte doch gleich: ,Wer Grenzen nicht kennt, kann sie auch
überschreiten!? "
"Saddam Hussein, bevor er in Kuwait einmarschierte?"
"Dir fehlt der nötige Ernst. Unsere Arbeitsgruppe hat sich bereits mehrfach
getroffen, und wir haben in einem multidimensionalen Brainstormingprojekt
bereits eine Vielzahl von innovativen Ergebnissen zusammenstellen können.
Ich darf dir mal hier ein paar Beispiele erläutern..." Er kramte in seinen
Taschen und beförderte ein paar handschriftlich bekritzelte Notizblätter
hervor. 
"Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist das neue Steuersystem der
Bundesregierung. Umgekehrte Zweckgebundenheit von Steuern!"
"?"
"Ja: Einnahmen von Steuererhöhungen werden zweckgebunden. Aber nicht
für die Sache an und für sich, sondern für spezielle sonstige Ausgaben. Zum
Beispiel die Mineralölsteuer: Mit dem Geld werden kein Straßen gebaut,
sondern Rentenlöcher gestopft, Sozialabgaben finanziert und
Lohnnebenkosten subventioniert. Eine tolle Idee!"
"Soll aber bisher nicht so toll angekommen sein. Besonders nicht bei den
Autofahrern."
"Das liegt daran, daß die das viel zu speziell gehalten haben. Da liegt der
Fehler. Man muß das zum Prinzip machen, so daß jeder gleichmäßig belastet
wird.
Hier, Punkt 3: Alkoholsteuer: 5% Sonderabgabe auf Batida de Coco zur
Unterstützung der notleidenden Bevölkerung auf vor Überschwemmungen
geplagten Pazifikinseln. 6% des Steueranteils auf Bier wird zur Entwicklung
der kommunalen Abwassersysteme verwendet, was das Stadtsäckel
entlastet. 19% des Verkaufspreises von Jägermeister wird direkt in die
Finanzierung der Forstwirtschaft gesteckt, wohingegen auf Hochprozentiges
neben der Zuweisung von Geldern für Lebertransplantationsforschung eine
dreißigprozentige Abgabe zur Überweisung an Zentren zur Verbesserung der
sprachlichen Ausdrucksfähigkeit gehen.
Oder Punkt 7: Schnellimbisse. Eine zehnprozentige Fettabgabe auf Fritten zur
Unterstützung eines Fonds zur Beseitigung von Ölverschmutzung auf den
Weltmeeren. Dann natürlich die Fleischabgabe zur Zwischensubventionierung
der notleidenden deutschen Fleischwirtschaft: Je weniger richtiges Fleisch in
einem Hamburger ist, desto höher ist der Betrag der Sonderabgabe je
Hamburger. Leider würde das den Preis eines durchschnittlichen
Hamburgers wohl verdreifachen. Über den Verkauf von Fischburgern könnte
man eine Unterstützung der darbenden Hochseefischerei realisieren, und ..."
"Das wird aber dem Wirt deiner Stammfrittenbude nicht gefallen."
"Hm," Rudi ließ das Bild Willis vor seinem inneren Auge entstehen. "Vielleicht
hast Du recht. Aber bei genauerem Nachdenken sollten 20% der Einnahmen
als Sonderzuweisung an das Deutsche Hygieneinstitut sowie an das nationale
Seuchenzentrum gehen." Er machte sich Notizen.
"Also ehrlich, ich kann da noch nichts Innovatives entdecken"
"Doch. Nimm zum Beispiel diese Bretzel von der Theke. Was fällt dir dazu
ein?"
"Bloß nicht werfen, Du könntest jemanden damit verletzen!"
"Ich sehe, du hast es verstanden! 12,5% gehen an das
Verteidigungsministerum zur Kostendeckung des Einsatzes im Kosovo,
8,25% als Subvention an die notleidende Betonindustrie und 18% an die
Krankenkassen zur Verbesserung der Versorgung mit Zahnersatz."
"Ich glaube, jetzt verstehe ich das System..."
"Na also. Nehmen wir zum Beispiel diese holländische Tomate. Da haben
wir, Moment... ja, vom Erlös sind abzugeben: 25% als Wasserpfennig, 38%
zur Unterstützung von Forschungsprojekten zur Entwicklung von
geschmacksfreien Nahrungsmitteln, 48% Düngerabgabe, 16% Notopfer
Pestizide und 18,5% Gewächshaussteuer zur Lohnnebenkostensenkung
innerhalb der Glasindustrie."
"Und 20% zur Unterstützung der Fördergesellschaft für mathematisch
Minderbemittelte."
Rudi blickte mich überrascht an.
"Das ist ja ulkig. Du bist schon der Dritte, der diesen interessanten Vorschlag
macht. Muß ich mir jetzt doch mal notieren."
"Aber das ist noch nicht alles. Charterflugreisen werden mit einer
Zusatzsteuer belastet, die direkt zur Aufwertung der Transportbedingungen
von Viehtransporten dienen wird. Die sogenannte Mallorca-Abgabe auf
Hotelzimmer dient der qualitativen Verbesserung der Haltung von
Legebatteriehühnern!"
"Also Rudi, jetzt mal ehrlich. Das ist doch alles völliger Quatsch!"
Rudi war beleidigt. "Von wegen völliger Quatsch. Die Expertenrunde
,Steuermodelle der Bundesregierung’ hat sich unsere Vorschläge angehört
und fand sie sehr interessant. Man hat sie bereits in die aktuellen Pläne zur
Steuerreform eingearbeitet!"

Ach so. Das erklärt natürlich alles.

Klaus Marion


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Last updated 31.08.99