Tagebuch eines Autobesitzers

(c) Klaus Marion 1990

erschienen in VorSicht 6/90


16. März
Mein Nachbar hat sich ein neues Auto zugelegt. Irgend so ein komisches Geschoß mit vielen PS und Monatsraten. Ich betrachte mein eigenes Gefährt: 32 PS werden mir auch in Zukunft genügen, sollten sie auch noch so alt sein. Wozu braucht ein normaler Mensch eine Beschleunigung von 7 Sekunden von 0 auf 100? Ich kann auf unnötigen Schnickschnack an meinem Fahrzeug dankend verzichten. Das Auto ist ein Nutzfahrzeug, und damit basta. Mir fällt auf, daß mein Fahrzeug rostet. Was solls?
18. März
Vielleicht könnte mein PKW etwas mehr Pfiff gebrauchen. Schon damit mein Chef sieht, daß ich mit der Zeit gehe. Habe beschlossen, etwas preisgünstiges zur Verbesserung der Optik zu unternehmen und im Schutze der Dunkelheit ein "GTI" auf den Kofferraum geklebt. Vielleicht sollte ich ein paar Ralleystreifen...? Mal sehen.
22. März
Gestern machte mein Nachbar eine hämische Bemerkung über die "überlackierte Rostlaube im Weltkrieg-II-Look". Kann nicht erkennen, wessen Fahrzeug er damit meint. Habe den Wicht einfach stehen gelassen, während er seinen Frontspoiler polierte. So etwas brauche ich nicht. Genauso wenig wie einen Heckspoiler, der länger als 80 cm ist. Das erläuterte ich auch dem Händler, der mir die Schwanzflosse montierte. Eine größere Länge wäre unangebracht, genauso wie bei den Seitenschwellern, die er mir kostengünstig anzudübeln versprach.
28. März
Mein Nachbar ließ heute demonstrativ den Motor seines Autos mehrmals aufjaulen. "Das ist eben echter Klang, kein Pappmachee". Dabei blickte er provokativ in meine Richtung. Meine Frau konnte mich eben noch von Tätlichkeiten abhalten. Dieser Angeber! Habe in der Werkstatt den Auspufftopf entfernen lassen. Akustisch ist das Fahrzeug Jetzt um 250% schneller. Verstehe leider kein Wort mehr aus dem Radio. Der Rallyetacho bis 350 km/h macht sich sehr gut, außer, daß er sich im Stadtverkehr überhaupt nicht zu bewegen scheint. Die ganze Nachbarschaft weiß jetzt Bescheid, wenn ich mein Auto in Gang setze.
4. April
Mit süffisantem Lächeln drückt mir mein Nachtbar einen Katalog über Hängematten in die Hand: "Statt Deiner abgesessenen Sitze". Er flüchtet, bevor ich ihn im Affekt erwürgen kann.
5. April
Der Einbau der tiefgelegten Rallyesitze und der Hosenträgergurte ist so problemlos wie nur denkbar gewesen. Ich könnte sogar anstandslos über dem Lenkrad die Straße erkennen, würde nicht die obenliegende Nockenwelle in dem Aufbau auf der Motorhaube die Sicht nach vorne blockieren. Fahre jetzt angelehnt im Stehen und verwende die Gurte wie Zügel, um die Pedale zu bedienen. Stilvoll, wie bei den Wagenrennen im alten Rom. Ben Hur!
10. April
Der Kerl ärgert mich nicht mehr! Bevor er eine angeberische Bemerkung über seinen Bordcomputer machen konnte, habe ich ein Tuning-Kontrollpanel mit eingebauter Lichtorgel, Drehzahlmesser für Ventilator und vielen Lichtern in Technicolor montiert. Die Halogenstrahlerreihe vorne macht zusätzliche Batterien erforderlich, aber den Kofferraum habe ich sowieso nie benutzt. Die 8-fach-Bremslichter für die Innenraummontage werden nächste Woche im Fond montiert.
15. April
Die 250 Watt Stereo-Power-Anlage auf dem Platz des ehemaligen Beifahrersitzes montiert. Nachteilig ist lediglich die Tatsache, daß bei normalem Einsatz der Endstufe die Scheiben sich rhythmisch nach außen biegen und die Scheibenwischer abspringen lassen. Vielleicht sollte ich Stahlplatten montieren?
18. April
Ein unerwartetes Aus: Die Berufsgenossenschaft des Unterhaltungsgewerbes stufte mein Fahrzeug wegen der abgedunkelten Scheiben und den mülltonnengroßen Baßlautsprechern auf den Rücksitzen als "Wanderdisco mit Schaustellercharakter" ein und ließ das Auto wegen fehlender Gewerbeerlaubnis stilllegen. Fahre jetzt mit einem Fahrrad. Mein Nachbar hat sich auch eines gekauft. Titanlegierung mit 5Gang-Getriebe. Ob ich auf 10 Gänge aufrüsten soll?

Klaus Marion


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Last updated 10.10.99