Weihnachtsmarkt

(c) Klaus Marion 2000

erschienen 12/2000 in VorSicht

 


Ich hatte mich gerade erst an der Theke des Lokales meines Vertrauens niedergelassen, als sich mit einem geschmetterten 'Hallo' eine vertraute Stimme rechts neben meinem Ohr vernehmen ließ.
Ich begann mich umzudrehen, um den Verursacher der Lautäußerungen darauf hinzuweisen, dass er mir noch diverse Barschaften zu schulden pflege, als ich erstaunt erstarrte.
Mein Freund Rudi, regelmäßigen Lesern dieser Kolumne kein ganz Unbekannter, schwang sich neben mir auf einen Barhocker und bedeutete dem Wirt, er möge für uns zwei Bier zapfen, bevorzugt auf meine Kosten. Überraschenderweise war er jedoch in einen roten Wollmantel mit Spitz-Kapuze und weißen Umnähern gekleidet, und sein Gesicht zierte ein großer weißer Bart.
"Du bist als Weihnachtsmann unterwegs? Jetzt schon?"
Rudi schob den Bart nach oben auf die Stirn und genehmigte sich einen großen Schluck. "Alles nur Marketing: Hier, das ist die eigentliche Geschäftsidee!"
Ich starrte auf ein großes Schild am Stiel mit der Aufschrift: 'Jetzt W-Aktien zeichnen'
"Aber..."
"Weihnachtsaktien! Moment, ich muss ordern!" Das Handy am Ohr, schien er irgendwelchen Neuigkeiten zu lauschen, denn seine Stirn zog sich in Falten. "Sofort die Weinbrand-Genussscheine für 15einViertel raus, dafür 160 Krawatten zu fix 8einhalb, maximal 12dreiviertel. Pass auf die Baumanleihen auf: Wenn die unter 17 gehen..." Er beendete sein Gespräch.
"Äh...?"
"Mein Makler. Jetzt sag bloß, Du bist nicht auf dem Weihnachtsmarkt??"
"Nun, dieses Jahr war es am Sonntag so kalt, die Kinder wollten nicht, und der Hund..."
"Ich spreche vom Weihnachts-Anleihenmarkt. Lebst Du hinter dem Mond? Ist der absolute Renner! "
Er trank noch einen Schluck Bier.
"Was bekommst Du zu Weihnachten?"
Ich blickte trübe in die vergangenen Jahre. "Meistens Krawatten"
"Aha! Und was machst Du damit?"
"Ich hänge Sie in den Schrank"
"Siehst Du: hier kommt der moderne Anleihemarkt ins Spiel! Warum gibst Du nicht Krawattenwertgutscheine aus und verkäufst sie einfach?"
"Wer soll die kaufen? "
"Händler. Ambitionierte Privatleute. Personen, die in ihre Altersvorsorge investieren."
"Aber... ich habe die Krawatten doch noch gar nicht!"
"Das nennt man dann Optionen. Kein Mensch will ja in Wirklichkeit Deine Krawatte. Schau hier, ich habe hier Optionsscheine zu 5,80 für 5 Krawatten gekauft. Die werden aber momentan mit 6einhalb notiert. Weil irgend so ein Politiker geäußert hat, dass Krawatten zu Weihnachten was Wichtiges sind. Da schließt der Markt auf Nachfrage nach Krawatten."
"Und was mache ich damit??"
"Handeln. Verkaufen. Das Risiko ist natürlich für beide Seiten enorm. Zum Stichtag musst Du für den vereinbarten Preis die Krawatten liefern können, bzw. abnehmen. Also nur etwas für Leute mit stahlharten Nerven..."
"Ich bekomme aber auch viel Pralinen..."
"Das ist gut! Gib einfach Genussscheine heraus. Pralinen stehen momentan ziemlich gut"
Er studierte intensiv ein Büchlein mit handschriftlichen Notizen
"Bei den Pralinen läuft der Bulle. Am neuen Pralinenmarkt haben wir in den letzten Wochen ganz enorme Zuwächse gemacht. Ich könnte Dir 6,50 für jeweils 5 geben, und das ist ein guter Preis...!"
Ich starrte auf die vor mir liegenden Papiere.
"Also, das mit den Krawatten scheint mir interessant zu sein. Dann kann ich ja quasi jetzt schon das Geld für die Geschenke ausgeben, die ich erst noch bekommen werde?"
"Genau!"
"Aber ich bekomme auch manchmal seeehr hässliche Krawatten..."
"Gut dass Du das sagst! Als quasi Hoch-Risikoanleihen! Das muss nämlich als kursrelevanter Faktor bei der Weihnachtsbörsenaufsicht gemeldet werden. Oder wenn mit der Schenkung von hochwertigen Seidenkrawatten als Weihnachtsgratifikation zu rechnen ist. Das erhöht natürlich den Wert der betreffenden Tranche und könnte als Insiderhandel gewertet werden"
"Und das lohnt sich alles?"
"Ich bitte Dich! Das ist New economy! Und das Tolle ist: Alle haben was davon. Du kannst Deine Weihnachtssachen loswerden und ne gute Mark machen. Und für die Profis kann der Handel zu einer echten beruflichen Alternative werden!"
"Aha." Langsam schien das Ganze vernünftige Züge anzunehmen. "Und da kann man Geld machen?"
"Aber hallo!" Schau Dir die Werte der Ramschanleihen an: Das sind echte Hochrisikopapiere, da die Geschmacklosigkeitsgrenze bei Geschenken naturgemäß keine untere Grenze kennt. Seit aber 70er Jahre Kitsch wieder absolut trendy ist, können da echte Schnäppchen dabei sein."
"Und wenn man nach Weihnachten die ausgegebenen Geschenke doch nicht hergeben will?"
"Ist doch kein Problem! Dann zahlt man dem Inhaber den aktuellen Handelswert + Nichtrückgabeaufschlag in Bar aus. Übrigens sind Optionsscheine als Geschenke der absolute Renner!"
"Wieso das denn?"
"Na ist doch logisch: Wie viel Krawatten kriegst Du im Schnitt, weil die Leute nicht wissen, was sie Dir schenken sollen?"
"10"
"Und wie viele verschenkst Du?"
"Auch 10"
"Na also: Du gibst einfach jetzt 10 Optionsscheine für Krawatten aus, die Du ja nach Weihnachten bekommen wirst. Dann verschenkst Du einfach die Krawattenoptionsscheine direkt. Der Optionsschein ist ja so gut wie eine Krawatte, und zu Weihnachten bekommst Du ja sowieso welche. Und dann haben Dich Deine Weihnachtsgeschenke überhaupt nichts gekostet."
Ich kratzte mich nachdenklich am Kopf. "Das heißt aber auch: wenn das jeder macht, ja, dann verschenke ich Gutscheine und bekomme auch Krawatten als Gutscheine. Dann hat kein Mensch irgendetwas bezahlt, und trotzdem hat jeder eine Krawatte gekriegt?? Geht das denn?"
"Äh... gute Frage."
Ich ließ Rudi ratlos in seinen Papieren blätternd am Tresen zurück.
Weihnachtsstern-Schuldverschreibungen werden jetzt am Neuen Weihnachtsmarkt in Kombination mit Tannenbaumoptionen gehandelt. Ob ich zeichnen soll...?"

Klaus Marion

Klaus.Marion@marion.de www.marion.de


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Last updated 10.01.01