Versicherung

(c) Klaus Marion 1991

erschienen in VorSicht


Der Mann setzte sich während des 2.Bieres an meinen Tisch. Zwar hatte er sich nicht danach erkundigt, ob besagter Platz noch ohne Besitzer sei, doch in Anbetracht der fortgeschrittenen Füllung sowohl des Lokales wie der Gäste schien mir dies entschuldbar. Ich blickte wieder auf die Tafel mit den neuesten Getränkekreationen.

Langsam machte sich bei mir das merkwürdig kribbelndes Gefühl breit, daß mein uneingeladenes Gegenüber mich mit einem beständigen Lächeln mustere. Ich durchforschte daher intensiv mein Gedächtnis, ob ich diese an einen Vertreter gemahnende Gestalt vielleicht schon einmal gesehen hätte. Meine grauen Zellen verneinten vehement. Auch überzeugte mich ein unauffälliger Blick in die Runde der anderen Kneipenbesucher, daß kein plötzlicher Wechsel der Interessen im zwischenmenschlichen Bereich aufgetreten war. Der Anteil beider Geschlechter schien sich im normalen Bereich zu bewegen. Ich beschloss, die immer noch starrende Gestalt dezent zu übersehen.

"Rauchen Sie?"

Mein Blick blieb einige Sekunden lang an einem Plakat an der Wand hängen, in der wagen Hoffnung, mit der auffordernden Frage könnte jemand anderes als ich gemeint sein. Der Wunsch erwies sich als trügerisch.

Ich ließ meinen Blick ins kalt-abweisende spielen und bedachte meinen Tischnachbar mit einem demonstrativen Sträuben der Augenbrauen.

"Nein!"

"Das ist gut. Dann können wir auf den Sonderpassus für Nichtraucher im Versicherungsfall zurückgreifen. Das ergibt ...Moment... 12,4 % Ermäßigung im Schadensfall. Ohne Berücksichtigung des Rückerstattungsbonus."

Er zog ein mehrseitig gefaltetes Blatt hervor und begann mit eifrigen Strichen den sauberen Bogen zu verunstalten.

"Moment mal, ich brauche keine..."

Ich erntete ein zustimmendes Nicken.

"Genau! Sie brauchen natürlich auch keine Absicherung von Zusatzkrankenrisiken bei unserer integrierten Lebensversicherung. Nichtraucher sind auch hier klar bevorzugt. Ich werde Ihnen 8% Rabatt geben obwohl..."

Er beugte sich vertraulich flüsternd vor

"...obwohl ich eigentlich nur 6% geben dürfte. Aber die bekommen Sie direkt aus meiner Prämie, weil Sie mir so sympatisch sind!"

Ich nahm mein Glas und zog mich wortlos an die Theke zurück.

Die Stimme drang jetzt schräg von hinten an mein Ohr.

"Was Sie brauchen, ist eine Zusatzabsicherung für Unfälle in Kneipen. Meine Versicherungsanstalt bietet ihnen günstigste Konditionen bei Schlägereien, Glasbruch und..."

Ich wandte mich zu dem Störenfried um und begann mit meiner freundlichsten zur Verfügung stehenden Stimme wie folgt zu deklamieren:

"Hören Sie zu: Ich brauche keine Versicherung. Was ich brauche, ist ein friedlich eingenommenes Bier und etwas Ruhe. Tut mir leid"

Ich drehte mich wieder demonstrativ in Richtung der Salzstangen und versuchte, dem Störenfried gleichmäßig die kalte Schulter zuzuwenden.

"Vielleicht haben Sie Interesse an einer Risiko-Lebensversicherung: Ideale Konditionen, geringe Raten, hohe Zahlungsumme im Erfolgsfall. Sollten Sie einfach haben. Ist Ihr Hund versichert? Haben Sie ein Kaninchen? Wir bieten Kaninchenversicherung gegen die sibirische Wanderstaupe!"

Die Stimme kam, ich konnte es erst nach einigen Sekunden verifizieren, aus der Richtung meiner Füße, wohin sich der Mann kriechend vorgearbeitet hatte, um wieder in Frontrichtung zu seinem Opfer sprechen zu können.

Einen Augenblick lang packte mich der unwiderstehliche Drang, ihn einfach unauffällig niederzutreten, um dann in der Menge zu verschwinden. Mein zivilisiertes Wesen behielt jedoch leider die Oberhand, und ich kontaktierte ersatzweise mit verzweifelten Blicken den Kneipenwirt Rudi, der normalerweise jeder Störung seiner Gäste einen handfesten Riegel vorzuschieben pflegt. Diesmal verhallte mein optischer Hilferuf ohne Wirkung.

"Der Wirt hat eben noch ein Herz für Gewerbetreibende. Was glauben Sie, wie schwierig es ist, den Leuten noch zu Hause eine Versicherung zu verkaufen. Hier, an der Stätte ihrer Entspannung, da sind Sie noch bereit, einmal ohne Wenn und Aber Gedanken über ihre private Zukunft anzustellen. Das versteht der Kneipier eben. Zudem ist er mit 10% beteiligt. Was halten Sie von einer prophylaktischen Rentenzusatzversicherung mit autodynamischen Sparanstieg durch einen verknüpften molekularen Börsenanstieg-Schwundausgleich?"

Bei allem Verständnis für die leidende Kreatur im allgemeinen, beschloß ich, dieser geballten Verkaufsmaschinerie durch einen taktischen Rückzug erst einmal den Boden ihrer versicherungstechnischen Argumenten zu entziehen. Ich verließ mit eilendenden Schritten unter zurücklassung meines Bierglases den überfüllten Gastraum, um in der Toilette in einer unbenutzen Kabine ein versicherungsfreies Asysl zu finden.

Leider wurden meine meditativen Gedanken durch eine durch die Seitenwand leicht gedämpfte Stimme sowie ein über mich gehaltenes Formular jäh unterbrochen.

"Eine Heiratsversicherung! Sie brauchen eine Heiratsversicherung. Bei Eintritt des Schadensfalles können Sie mit einer großzügigen Rückerstattung sowie einem Bierabonnement in der Kneipe Ihrer Wahl rechnen. Niedrige Raten, gute Konditionen!"

Ich beschloß, der Sache ein Ende zu machen.

"Ich Ordnung, geben Sie das Formular her, ich überlege es mir, und Sie können mich ja morgen Abend anrufen"

"Ihr Name?"

"Abdul Lothar Meier" entgegnet ich gleichermaßen stolz wie wahrheitswidrig. Ich öffnete die Kabinentür und versuchte mit einer Finte, den Ausgang der Toilette zu erreichen. Mein Gegenüber versperrte mir den Weg.

"Ich bin darauf angewiesen, zur Sicherung meines Lebensunterhalts Policen zu verkaufen. Ich habe eine Frau und viele Kinder. Wir sollten den Vertrag gleich hier unterschreiben."

"Und ich habe, noch, ein Bankkonto und will es auch behalten"

Ich täuschte einen Ausfall nach links an und warf mich im Hechtsprung rechts vorbei. Ein auf Gürtelhöhe gezielter Uppercut verfehlte mich knapp, mit wenigen Sprüngen hatte ich die Treppe nach oben zum Ausgang erreicht. Hinderlich erwies sich, daß der Vertreter meinen Fuß gepackt hatte und jetzt mühsam von Stufe zu Stufe gezogen werden mußte.

"Ich... habe auch phantastische Krankenzusatzversicherungen im Angebot. Wollen Sie vielleicht eine integrierte Radfahrer- und Landschaftsversicherung..." Er keuchte. Verzweifelt klammerte er sich an meine unteren Extremitäten. Es war ein Gewaltkampf. Unsere Adern traten hervor, Muskeln wurden angespannt, dies war die Schlacht der Schlacht. Dann verlor er kurzzeitig der Halt, mit einem kräftigen Ruck ließ ich ihn auf der Treppe zurück und entschwand in die Dunkelheit der Nacht.

Tage später stellte ich fest, daß sich der Mann offensichtlich einen anderen Wirkungskreis gesucht hatte. Die Kneipe war wieder gefahrenfrei zu betreten.

Bei näherem Nachdenken stelle ich jetzt fest, daß mich die Kneipenversicherung doch interessieren würde. Leider habe ich die Unterlagen des Mann im Getümmel der Flucht verloren.

Rudi weiß auch nichts genaues.

Deshalb: Kennt jemand einen Versicherungsvertreter?


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Last updated 96/11/25