Wer wars?

(c) Klaus Marion 1996

erschienen in VorSicht 2/96


Wer kennt die Situation nicht. Da wanderst Du nichtsahnend durch die Innenstadt, oder lümmelst Dich bequem in den Kinosessel, und plötzlich legt sich von hinten eine behaarte Hand auf Deine Schulter, und eine Stimme sagt:

"Hallo, lang nicht mehr gesehen?"

Schweigen. Panik steigt in Dir auf, der Adrenalinspiegel tanzt Polka, Schweißperlen bevölkern dein Gesicht.
Um Gottes Willen - WER IST DAS BLOSS?
Das Gesicht kommt Dir möglicherweise bekannt vor, Du ahnst, Du solltest ihn kennen (Schule? Beruf7 Zoo??).

Was tun?
Das Problem ist so alt wie die Menschheit. Geologische Funde lassen den gesicherten Schluß zu, daß schon in der frühen Steinzeit ein durchschnittlicher Dialog bei der Begegnung zweier Neandertaler wie folgt ablief:
‚Uhg. Uhg!'
,Uhg??"
"UHG!!"
Danach ließ zumeist der so nicht erkannte seinen Knüppel auf dem vergeßlichen Gegenüber niedersausen, ein Umstand, der nach Aussagen von Fachleute nicht unerheblich zum Aussterben jener Spezies beigetragen haben soll.
Zurück zu unserem Problem. Bewußte Person mit dem Aussehen eines minderbemittelten Pavians starrt Dich immer noch mit seinen vergilbten Zähnen an, während seine Augenbrauen ob der ausbleibenden Antwort langsam ins bedrohliche spielen.
Gänzlich verkehrt ist natürlich die ehrliche Antwort. Ein "He, ich hab Dich noch nie gesehen!" kann nicht als deeskalierend bezeichnet werden und führt oftmals zu unangenehmen Reaktionen seitens des Gegenübers (was Dir jeder Notarzt gerne bestätigen wird).
Eine derartige Entgegnung ist unter Sicherheitsaspekten nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn a) besagtes Subjekt nicht größer als 1,70 Meter ist, und auch b) ansonsten einen halbwegs schwächlichen Eindruck macht.

Du solltest Dir jedoch absolut sicher sein, daß die betreffende Person wirklich, garantiert und 100% zutreffend nicht zu Deinem Bekannten- oder Verwandtenkreis gehört. Insbesondere Erbtanten und -onkels haben die Gewohnheit, nach Jahren ganz unverhofft aufzutauchen, und ein derartiger Affront mindert die Chancen auf eine Vermögenserhöhung durch letalen Abgang ganz beträchtlich.
Deswegen: Im Zweifel niemals das Unwissen eingestehen.
Das Mittel der Wahl ist ein abwartendes ‚Ach, HALLO!!', gefolgt von einem strahlenden Lächeln. Diese Gesprächserwiderung hält alle Optionen offen, und läßt Dir Zeit, Dich über Dein Gegenüber klar zu werden. In vielen Fällen ist damit die Sache gerettet, und ein "Ach, jetzt muß ich aber weiter!' verhilft Dir zu einem eiligen Abgang. Praktisch ist noch ein angehängtes "...und viele Grüße!", danach sollte man schnellstens das Weite suchen, um in einem stillen Kämmerlein näher über die Sache nachzudenken.
Ungünstig sind natürlich Situationen, in denen eine eilige Flucht nicht so einfach möglich ist, z.B. in Restaurants, im Wartezimmer beim Zahnarzt oder bei einer Testamentseröffnung.
Leider gibt es nämlich Zeitgenossen, die Dich freudestrahlend in weitere Gespräche zu verwickeln suchen.
"Na, was hast Du denn letzte Woche gemacht? Wie geht's Else?" Dies ist der Punkt, an dem sich stahlharte Naturen von schwächlichen Feiglingen trennen. Während letztere jetzt verzweifelt eine plötzliche Lebensmittelvergiftung simulieren, oder auch durch Vortäuschung eines epileptischen Anfalles das Gespräch zu beenden suchen, sind erstere bereit, durch flexibles austänzeln des Gegners das Match sicher zu überstehen.
Wichtig ist nämlich, durch defensive Antwortstrategie genügend Daten zu sammeln, um die fremde Person endlich einordnen zu können. Meistens sind es Kleinigkeiten im Gespräch, die die Erleuchtung bringen ("Ja, damals der Urlaub in Lappland, als Du den Nachbariglu hattest...') und die es erlauben, die Person zu identifizieren.
Die richtige Antwortstrategie ist entscheidend: Fragen wie "Du hast das doch jetzt endlich erledigt?" oder "Gab es bei der Sache noch Unklarheiten?" können durch die Wahl unbestimmter Antworten umgangen werden. "Kann man sagen" oder "Tja ja". Im Zweifelsfall ist Zustimmung besser als Verneinung, weil diese indigniertes Nachfragen auslösen könnte.

Besonders bewährt hat sich die sogenannte Ergänzungsantwort, bei der man durch vorgetäuschte Gedächtnislücken versucht, auf fehlendes zu schließen:
"Ja, ich hab das bei... bei.. wie heißt er doch? erledigt."
Ausladendes Rudern mit den Armen sowie verstärktes Wackeln mit den Augenbrauen (sog. ,waigeln') nötigen das Gegenüber zu einer hilfreichen Antwort, und endlich weißt Du, wer er eigentlich ist.
Natürlich empfiehlt es sich, möglichst schnell rauszufinden, mit wem man da eigentlich spricht, weil je länger das vertrauliche Gespräch dauert, umso peinlicher wäre das Eingeständnis, daß man die ganze Zeit nicht wußte, was und mit wem man sich unterhielt.
Ab einer Gesprächsdauer von 10 Minuten wächst die Peinlichkeit in derartige Höhen, das es besser ist, im Zweifelsfall auf alle Ansinnen des Unbekannten einzugehen.
Angeblich sollen aufgrund derartiger Gespräche mindestens 2 Bundesminister sowie ein Landtagspräsident zu Amt und Würden gekommen sein, ohne es eigentlich zu wollen.
Sollte es sich jedoch im Verlauf des Gespräches herausstellen, daß Du Dein Gegenüber überhaupt nicht kennst, sondern Du schlicht und ergreifend verwechselt wurdest, sollte es mit der schamhaften Zurückhaltung vorbei sein.
Pumpe Dein Gegenüber um 100,DM an, versprich ihm baldige Rückzahlung, und verschwinde in der Menge.
Ein Gutes muß so eine Situation ja wenigstens haben.


Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Last updated 98/05/03